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Hier fliegt niemand raus! Die Würzburger Wichern-Schule feierte mit prominenten Gästen ihr zehnjähriges Bestehen

Nach den Sommerferien begann für Brian ein neuer Lebensabschnitt: Der Junge besucht seither wieder eine reguläre Würzburger Mittelschule. „Hoffentlich klappt es diesmal besser als zuvor!“, wünscht er sich. Und das nicht ohne Grund. Wegen seines schwierigen Verhaltens flog Brian dreimal von einer Grundschule. Danach kam er in die Wichern-Schule des Diakonischen Werks Würzburg. Hier fliegt kein Kind. Ganz egal, wie es sich benimmt. Eben das macht die vor zehn Jahren gegründete Schule für Kranke einzigartig.

„Wir geben kein Kind auf.“ Dieser Satz sagt sich so leicht. In der Wichern-Schule wird er durch und durch ernst genommen. Natürlich gibt es auch hier Konsequenzen für Schülerinnen und Schüler, die sich nicht an Regeln halten. „Doch klassische Schulstrafen kennen wir nicht“, betont Prof. Gunter Adams, Leiter der Evangelischen Jugendhilfe, von der die Wichern-Schule seit 2007 getragen wird, bei der Jubiläumstagung im Hörsaal des Zentrums für seelische Gesundheit. Unter keinen Umständen werde ein Kind aus dem Unterricht entfern: „Wie auch immer es sich verhält.“ Was für das 40-köpfige Team aus Pädagogen und Sozialarbeitern eine Herausforderung darstellt.

 

Was sind das eigentlich für Menschen, die sich um Kinder mit massiven sozialen, emotionalen und psychischen Problemen kümmern? Viel mehr: Wie müssen diese Menschen „gestrickt“ sein? Mit dieser Frage befasste sich Prof. Roland Stein, Sonderpädagoge von der Uni Würzburg.

Diese speziellen Lehrkräfte müssen dem Wissenschaftler zufolge emotional sehr stabil sein, sie brauchen viel Einfühlungsvermögen und ein hohes Maß an Frustrationstoleranz. Aber noch etwas ist wichtig, so der Forscher während des Festaktes: Der Beruf darf für sie nicht das Ein und Alles aus. Stein: „Sonst besteht die Gefahr, dass sie ausbrennen.“

 

Schülerinnen und Schüler der Wichern-Schule bestätigten, dass ihre Lehrer die von Stein geforderten Eigenschaften in hohem Maße besitzen. Weil ihre Lehrer sowohl konsequent als auch einfühlsam, sowohl zugewandt als auch gelassen sind, ist es den Schülern möglich, sich allmählich zu ändern. „Früher wollte ich nicht in die Schule, ich wollte immer abhauen“, äußerte eine Schülerin. Diesen Wunsch hat sie heute nicht mehr. Auch emotional gehe es ihr besser: „Ich habe keine Ausraster mehr.“

Wie lange die Kinder und Jugendlichen die Wichern-Schule besuchen, ist ganz unterschiedlich. Sind sie lediglich akut somatisch erkrankt, dauert der Schulbesuch vielleicht nur ein paar Wochen. Andere Schüler besuchen die Schule jahrelang – bis zum Abschluss. Für die Schule selbst ist es wichtig, dass Schüler, die ein hohes Risiko haben, sich negativ zu entwickeln, frühzeitig in eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung und in eine spezielle Schule kommen.

Dafür plädierte auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm. „Kinder- und Jugendhilfe muss dann einsetzen, wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist“, betonte sie beim Festakt. Für Regierungspräsident Dr. Paul Beinhofer mauserte sich die Wichern-Schule binnen weniger Jahre zu einem für die Region unverzichtbaren Kompetenzzentrum mit dem Schwerpunkt „Pädagogik bei Krankheit“. Beeindruckend ist für ihn die breite Angebotspalette der Schule. So gibt es eigene Klassen für Patienten aus der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie für Kinder aus der Intensivstation dieser Klinik. Weitere Klassen zielen auf die Patienten der regulären Kinderstation der Uniklinik ab, daneben gibt es Klassen für die Kinder der Tagesklinik und der Clearingstelle Nordbayern.

Hinzu kommt ein Beratungsangebot für die Stammschulen der Schüler. „Der Wichern-Schule kommt für die Diagnostik, die Therapie und die Reintegration von psychisch erkrankten Kindern eine Schlüsselrolle zu“, bestätigte Prof. Marcel Romanos, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Romanos rief dazu auf, der Institution Schule insgesamt mehr Aufmerksamkeit zu widmen: „Denn sie ist zum neuen Lebensmittelpunkt der Kinder geworden.“

Lehrer bekämen aus diesem Grund immer mehr Aufgaben zugewiesen. Nicht zuletzt sollen sie mithelfen, Kinder vor psychischen Erkrankungen zu schützen. Um sie bei dieser Aufgabe zu unterstützen, wird in Würzburg Anfang des kommenden Jahres ein „Präventionszentrum psychische Gesundheit“ gegründet. Die Kaufmännische Krankenkasse will die Gründung finanziell unterstützen. Träger wird der Würzburger „Verein Menschenskinder“ sein.